Stadtspaziergang Tempelhofer Feld: 5. Kontroverse zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Hier, an der ersten Start- und Landebahn, ist das Vergangene kaum noch vorstellbar. Ein Blick in die Geschichte dieses Ortes zeigt, wie viel Leid, Schmerz und Tod von hier ausging. Heute ist das Tempelhofer Feld ein Schauplatz der Naherholung. Eine Kontroverse zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die nicht vergessen werden darf.

Das Tempelhofer Feld ist heute ein Ort der Ruhe, der Entspannung, der Sportaktivitäten – Naherholung mitten in der hektischen Hauptstadt-Metropole Deutschlands. Deshalb nennen ihn manche einen Ort der Freiheit, oder wie die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt diesen Ort seit der Eröffnung des Parks bezeichnet: „Die Tempelhofer Freiheit“. In zahlreichen Büchern, Reiseführern und Internetseiten findet sich der Name wider und mit steigendem öffentlichen Gebrauch vergeht damit die Erinnerung an das Geschehene – an die Tempelhofer Unfreiheit.

Historiker*innen der Berliner Geschichtswerkstatt e.V. und engagierte Bürger*innen sprechen sich strikt gegen die Bezeichnung aus. Für sie spiegelt der Name „Tempelhofer Freiheit“ die Geschichtsvergessenheit wider. Das von ihnen im Jahr 2012 herausgegebenen Heft „Kein Ort der Freiheit – Das Tempelhofer Feld 1933-1945“ verdeutlicht diese Haltung. An „die dunklen Seiten in der Geschichte des Tempelhofer Feldes“1 will Andreas Bräutigam erinnern.

Der 1. Mai 1935 mit über 1 Millionen Nationalsozialisten auf dem Tempelhofer Feld. Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-04481B / CC-BY-SA, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_102-04481B,_Berlin,_Maifeier_auf_dem_Tempelhofer_Feld.jpg

Der 1. Mai 1935 mit über 1 Millionen Nationalsozialisten auf dem Tempelhofer Feld.
Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-04481B / CC-BY-SA, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_102-04481B,_Berlin,_Maifeier_auf_dem_Tempelhofer_Feld.jpg

Die Kehrseite der Freiheit auf dem Tempelhofer Feld wird durch ihre Beiträge zur militärischen Nutzung, zum Konzentrationslager und Gefängnis Columbiadamm, zur Zwangsarbeit in der Rüstungsproduktion und zu den Propagandafeldzügen der Nationalsozialisten bewusst. Beispielsweise feierten die Nationalsozialisten den 1. Mai 1933 auf dem Tempelhofer Feld – damals der erste und bis heute nationaler Feiertag der Arbeit: „Die Ausgestaltung des riesigen, etwa 450.000 Quadratmeter großen Geländes übernahm Albert Speer. Er ließ eine mehr als 400 Meter lange Tribünenanlage errichten, die 13.000 Stehplätze umfasste und von der aus Hitler eine Rede hielt, und einen sogenannten Fahnenberg, eine Mitteltribüne, auf der grelle Scheinwerfer riesige Fahnen anstrahlten.“2

Das Tempelhofer Feld ist nicht nur ein authentischer Ort national-sozialistischer Propagandageschichte. Von hier aus starteten die Kriegsflugzeuge in alle Richtungen Europas, um „Städte in Schutt und Asche zu legen. Ein besonders abscheuliches Beispiel dafür ist die Niederschlagung des Warschauer Aufstandes vom Spätsommer 1944, an der in Tempelhof gefertigte Sturzkampfbomber vom Typ Ju 87 (Stuka) mitwirkten.“3

Die Liste der nationalsozialistischen Verbrechen, die von diesem Ort ausgingen, ist lang und die Forschung dazu vergleichsweise jung. Kaum jemand spricht sich gegen die heutige Nutzung des Tempelhofer Feldes aus, aber angesichts der Geschichte dieses Ortes erscheint der Name „Tempelhofer Freiheit“ zynisch. Vor allem fehlt es hier an Aufklärung. So spricht sich die Berliner Geschichtswerkstatt e.V. durch Hans Coppi für „einen Gedenk- und Lernort auf dem Tempelhofer Feld“4 aus.

Auf dem Weg weiter über das Rollfeld zur zweiten Start- und Landebahn kriegen Sie auch heute noch ein Gefühl für den mittlerweile eingestellten Flugbetrieb auf dem Tempelhofer Feld.

Boris Klein

Mehr Lesen?

  • Stadtspaziergang Tempelhofer Feld (PDF zum Ausdrucken)
  • Berliner Geschichtswerkstatt e. V. (Hg.), Kein Ort der Freiheit – Das Tempelhofer Feld 1933-1945. Konzentrationslager – Luftwaffenstützpunkt – Rüstungszentrum. Beiträge zur gedenkpolitischen Debatte über den Flughafen Tempelhof, Berlin 2012.

Anmerkungen

  1. Andreas Bräutigam, Geleitwort, in Berliner Geschichtswerkstatt e. V. (Hg.), Kein Ort der Freiheit – Das Tempelhofer Feld 1933-1945. Konzentrationslager – Luftwaffenstützpunkt – Rüstungszentrum. Beiträge zur gedenkpolitischen Debatte über den Flughafen Tempelhof, Berlin 2012, S. 5-6, hier S. 6.  (hoch)
  2. Angelika Königseder, Täterorte in Gedenkpolitik und Erinnerungskultur: Das Tempelhofer Feld, in Berliner Geschichtswerkstatt e. V. (Hg.), Kein Ort der Freiheit – Das Tempelhofer Feld 1933-1945. Konzentrationslager – Luftwaffenstützpunkt – Rüstungszentrum. Beiträge zur gedenkpolitischen Debatte über den Flughafen Tempelhof, Berlin 2012, S. 71-79, hier S. 71.  (hoch)
  3. Mirko Assatzk, Die militärische Nutzung des Tempelhofer Feldes unter der nationalsozialistischen Herrschaft, in Berliner Geschichtswerkstatt e. V. (Hg.), Kein Ort der Freiheit – Das Tempelhofer Feld 1933-1945. Konzentrationslager – Luftwaffenstützpunkt – Rüstungszentrum. Beiträge zur gedenkpolitischen Debatte über den Flughafen Tempelhof, Berlin 2012, S. 11-20, hier S. 11.  (hoch)
  4. Hans Coppi, Für einen Gedenk- und Lernort auf dem Tempelhofer Feld, Berliner Geschichtswerkstatt e. V. (Hg.), Kein Ort der Freiheit – Das Tempelhofer Feld 1933-1945. Konzentrationslager – Luftwaffenstützpunkt – Rüstungszentrum. Beiträge zur gedenkpolitischen Debatte über den Flughafen Tempelhof, Berlin 2012, S. 7-10, hier S. 7-10.  (hoch)