1. Mai ’33 auf dem Tempelhofer Feld: Inszenierungsmechanismen

Der „Tag der nationalen Arbeit“ war eines der wichtigsten Medienevents in der Frühphase des „Dritten Reichs. Die Nationalsozialisten wollten auf dem Tempelhofer Feld ihren ideologischen Sieg über die sozialistische Arbeiterbewegung einem Millionenpublikum vor Augen führen. Gleichzeitig zielten solche Massenevents in der Frühphase Hitlerdeutschlands auf die kommunikative Herstellung der „Volksgemeinschaft“ und der weiteren medialen Festigung des „Führers“, des wichtigsten politischen Markenartikels der NSDAP. Hierbei kam der Hörfunktechnik als laut Goebbels „allermodernstem und allerwichtigstem Massenbeeinflussungsinstrument“ eine herausragende Stellung zu.

Quelle: Sammelwerk Nr. 8, Deutschland erwacht; Werden, Kampf und Sieg der NSDAP, Hrsg. von Wilfried Bade und Heinrich Hoffmann, Cigaretten Bilderdienst, Altona Bahrenfeld, 1933. AdsD, 6/FOTB015039

Glaubt man offiziellen Darstellungen der Zeit, so versammelten sich an jenem Tag bis zu 1,5 Millionen „Arbeiter der Stirn und der Faust“ auf dem Tempelhofer Feld. Diese unvorstellbaren Menschenmassen bildeten die lebende Kulisse der ersten nationalsozialistischen Maifeierlichkeiten. Der ehemalige kaiserliche Paradeplatz war an diesem Tag mit allem ausstaffiert, was man in der Dramaturgie der NS-Massenfeiern im Jahre 1933 aufbieten konnte. Unterhalb von sechs riesigen Hakenkreuzfahnen stand eine Großtribüne für die Nazi-Prominenz mit vorgeschobener Rednerkanzel, von der aus man auf ein Meer an Flaggen und Standarten, sowie eine gewaltige Hakenkreuzplastik am Rande des Feldes blicken konnte. Gleichmäßig über das Feld verteilt standen die Türme für die hunderten von Lautsprecher und Scheinwerfern, die jedem angetretenen Arbeiter an den Höhepunkten der Veranstaltung teilhaben ließen. Zu diesem Zweck hatten die Angestellten der Stadt Berlin viele Kilometer Kabel- und Lichtleitungen verlegt und die bis dato größte Großlautsprecheranlage der Firma Telefunken errichtet, von der aus nun die gesamte Akustik des Megaevents gesteuert wurde.

Den Tag über boten zahlreiche Kundgebungen, Musikstücke und Wehrübungen den versammelten Volksmassen ein buntes Unterhaltungsprogramm. Auch das von den Nazis zum Symbol für die Schaffenskraft der deutschen Arbeiter hochstilisierte Luftschiff „Graf Zeppelin“ flog eine Stunde lang seine Runden über dem Tempelhofer Feld. Aus der Gondel des mit ausgesuchten Arbeitslosen und Vertretern verschiedener Berufsklassen beladenen Luftschiffs berichtete ein enthusiastischer Reporter des Reichsrundfunks live über das Geschehen in der Luft und am Boden.

Berlin, Tempelhofer Feld (Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-02375 / CC-BY-SA, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_102-02375,_Berlin,_Tempelhofer_Feld.jpg)

Berlin, Tempelhofer Feld (Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-02375 / CC-BY-SA, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_102-02375,_Berlin,_Tempelhofer_Feld.jpg)

Die NS-Führung propagiert die „Volksgemeinschaft“

Joseph Goebbels, der Regisseur der nationalsozialistischen Propaganda, legte mit einer gemeinsamen Schweigeminute für sieben verunglückte Bergarbeiter und zwei ermordete SA-Männer den emotionalen Grundstein für die in den kommenden Jahren vom Regime weiter vorangetriebene Gleichsetzung von Arbeiter und Soldat. Die Nationalsozialisten machten indes auch kein Geheimnis daraus, dass der Opfertod für Volk und Nation auf dem „Feld der Ehre“, wie Goebbels es nannte, das Fundament ihres neuen Staates werden sollte.

Der „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“ übergab anschließend dem „Führer und Fahnenträger der Bewegung“ das Wort. Gegen 20 Uhr zog Hitler als siegreicher Held der Nationalsozialisten in die gigantische Arena ein. Begleitet wurde der triumphale Empfang des „Führers“, in zynischer Abkehr vom eigentlichen Sinn und Zweck dieses Tages, von dem Lied „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“ und den stürmischen „Heil“-Rufen der versammelten Massen. Es folgte eine einstündige Rede Hitlers, in der er pathetisch Bezug auf die Überwindung der „absterbenden Klassenideologie“ des Marxismus durch die „nationale Auferstehung“ nahm. Hitler appellierte in seiner Rede an das Selbstbewusstsein und das Zusammengehörigkeitsgefühl der deutschen Arbeiterschaft, die sich nach der politischen Wende nun geeint dem Wiederaufbau Deutschlands widmen werde. Sachliche Substanz ließ Hitlers Rede jedoch vermissen. Er beschränkte sich auf die (so gar nicht neue) Ankündigung eines Arbeitsbeschaffungsprogramms durch Wohnungs- und Straßenbau. Über allem aber stand das Narrativ von der neuen Einheit der deutschen Arbeiterschaft nach Jahrzehnten des „Bruderkampfes“.

Ästhetik des Grauens

Die hier beschriebene Szenerie wurde von über 150 Flakscheinwerfern in gleißendes Licht getaucht. Dies stellt die erste ernsthafte Erprobung des sogenannten „Lichtdoms“ des jungen Architekten Albert Speer dar. Dieses Inszenierungsmittel sollte im Jahre 1936 im Rahmen der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele von Berlin weltberühmt werden. Krönender Abschluss der Inszenierung Speers war ein gewaltiges Feuerwerk am Berliner Nachthimmel, von dem Zeitzeugen in unfreiwilliger Voraussicht zu berichten wussten, es habe so ausgesehen, als hätte in dieser Nacht das Hakenkreuz den Berliner Nachthimmel in Brand gesteckt.

Diese Inszenierung der „nationalen Arbeit“ durch die Nationalsozialisten ist beispielhaft für die von Walter Benjamin kurz darauf, im Jahre 1935, in seinem Pariser Exil formulierten These von der „Ästhetisierung der Politik“ durch den Faschismus. Dieser, so Benjamin, wirke mit seinen stark ritualisierten Reden, Aufmärschen und Medienevents suggestiv und ideologisch auf die Bevölkerung ein. Gleichzeitig ist der 1. Mai 1933 auch ein Beleg für die von den Nazis erfolgreich angewandte Technik der Übernahme gegnerischer Rituale und Symbole in die eigene Inszenierungspraxis; so wie es die Massenaufmärsche, Reden und Gesänge in den sozialistischen Maifeiern der vergangenen Jahrzehnte Tradition gewesen waren.

Das Radio multipliziert die Massenpropaganda

Das Radio war im Jahre 1933, lange bevor der staatlich subventionierte „Volksempfänger“ in vielen deutschen Haushalten zu finden war, gewiss noch kein Alltagsgegenstand. Es war jedoch auch im Rahmen der Maifeiern 1933 bereits Teil einer „klassenunspezifischen Massenkultur“, da die Nationalsozialisten durch die Aufstellung von Lautsprechern in allen wichtigen Städten Millionen von „Volksgenossen“ erreichen konnten und damit den pseudo-egalitären Begriff der „Volksgemeinschaft“ scheinbar in die Alltagswelt der Menschen hineintrugen. Am 1.Mai 1933 wurde dieses erste nationalsozialistische „public hearing“ in Betrieben und auf Plätzen aller größeren Städte verordnet. So konnte sichergestellt werden, dass möglichst viele „Volksgenossen“ auch tatsächlich in den Genuss des langatmigen Liveprogramms und seiner Propaganda kamen. Diese setzte sich neben der Übertragung vom zentralen Staatsakt auf dem Tempelhofer Feld aus verschiedenen tendenziösen Hörspielen zusammen, mit Hilfe derer die thematischen Kernaussagen des Events spielerisch an das Radiopublikum herangetragen wurden. Hiermit vergrößerte sich die Masse derer dramatisch, denen nun der militaristische Arbeitsbegriff der NS-Propaganda „in Fleisch und Blut“ übergehen würde, wie es der bekannte Nazigegner Victor Klemperer in seinem „Tagebuch eines Philologen“ nach dem Ende des NS-Regimes auf den Punkt brachte.

An jenem Tag sandten die Nationalsozialisten mit Hilfe der modernen Technik ihre menschenverachtende Botschaft von Berlin in das ganze Reich. Ihre Propaganda wurde zusätzlich visuell von Begleitmedien wie Maipostkarten, Plakaten und vor allem den nachfolgenden Berichten in den Zeitungen unterstützt, in denen die Leser im ganzen Reichsgebiet über den Tag der nationalen Arbeit ausführlich im Sinne der Nazis informiert wurden.

Raphael Wiest