1. Mai ’33 auf dem Tempelhofer Feld: Zeitgenössische Deutung
In den Tagen nach dem „Tag der nationalen Arbeit“ erschienen in den deutschen Zeitungen zahlreiche Berichte über den Aufmarsch auf dem Tempelhofer Feld. Gleichzeitig beschrieb Joseph Goebbels in seinen Tagebüchern seine Sicht darauf, während der dänische Gesandte in einer Depesche seine Eindrücke in die Heimat schickte. Uns gibt dies die Möglichkeit, in Ansätzen nachvollziehen zu können, wie dieses Ereignis damals in der Öffentlichkeit und von Einzelpersonen wahrgenommen und gedeutet wurde.
Nach der Machtergreifung Hitlers wurden alle Zeitungen, so wie sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, gleichgeschaltet. Deshalb ist es wenig überraschend, dass das Presseecho auf den „Tag der nationalen Arbeit“ und auf den Aufmarsch auf dem Tempelhofer Feld sehr positiv und manchmal auch überschwänglich ausfiel. Besonders interessant ist das Beispiel der Vossischen Zeitung; galt die damals älteste Zeitung Berlins doch als bürgerlich liberal und war lange Zeit eine hoch angesehene Zeitung, musste sie schon nach gut einem Jahr NS-Diktatur das Erscheinen einstellen. Hier zeigt sich, mit welcher Macht bereits nach sehr kurzer Zeit die Nationalsozialisten die Stimme der Presse eingenommen hatten.
So spiegelte auch die Berichterstattung der Vossischen Zeitung über 1. Mai 1933 die Linie der neuen Reichsregierung wider. Auf der Titelseite der Vossischen Zeitung ging es um die landesweite „Reichsfeier der nationalen Arbeit“ und auf der zweiten Seite folgte ein Artikel, der sich mit dem „Fest der Millionen“ auf dem Tempelhofer Feld befasst hat. Der Autor zog einen Vergleich zu den Aufmärschen in den Jahren vor 1933: „Wie war es noch damals am 1. Mai 1929? Schüsse, Barrikaden, Gummiknüppel-Attacken, Tote. Und heute?“ Dies sollte implizieren, dass durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten wieder Frieden im eigenen Land geherrscht habe und große Volksfeste nicht durch Krawall gekennzeichnet gewesen seien, sondern mit Harmonie gefüllt worden wären. Die Berichte in den anderen Zeitungen hoben sich von dieser Darstellung nicht ab. In der damals wöchentlich erscheinenden Zeitung „Reichswart“ wurden die Ereignisse rückblickend betrachtet und zusammengefasst. So dreht sich die gesamte Titelseite der Ausgabe vom 7. Mai 1933 um die Maifeier und den Aufmarsch auf dem Tempelhofer Feld. Die Autor*innen meinen dabei „tiefe aufrichtige Sehnsucht nach Einigkeit, nach wirklicher Volksgemeinschaft“ gefunden zu haben und vergleichen das „Gemeinschaftsgefühl“ mit der Zeit der ersten Kriegswochen von 1914.
Joseph Goebbels war begeistert
Dieses Presseberichterstattung entsprach dem, was der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels erwartet hatte. Er beschrieb die Presse damals öffentlich als ein „bedeutsames Massenbeeinflussungsinstrument“, dessen sich die Regierung bedienen könne. So zeigt die Berichterstattung über die Maifeier eindringlich, was die Reichsregierung mit diesem Tag erreichen wollte. Joseph Goebbels war als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda auch hauptverantwortlich für die Inszenierung der Feier und für den Aufmarsch auf dem Tempelhofer Feld. Ein Blick in seine Tagebücher zeigt uns seine Sichtweise auf den Tag.
Man kann darin erkennen, was mit der Feier erreicht werden sollte und wie Goebbels sie wahrnahm. Es scheint, dass er selbst von der Szenerie überwältigt gewesen ist: „Es ist unbeschreiblich […]. Ein toller Rausch der Begeisterung hat die Menschen erfasst […]. Hier kann keiner sich ausschließen, hier gehören wir alle zusammen und es ist keine Phrase mehr: wir sind ein einzig Volk von Brüdern geworden.“ Für Goebbels diente dieser Tag also dazu, die Massen zu mobilisieren, die Volksgemeinschaft zu beschwören und für den Nationalsozialismus zu begeistern. Schließlich sah er die Feier und die Inszenierung als vollen Erfolg an. Dies zeigen Sätze wie „Das Leben kann so schön sein“, „Gestern: Presse fabelhaft“ oder „Alles voll Glückwünsche für mich“.
„Eine Millionen umfassende Familie“
Hans Wendt schildert noch im selben Jahr in der Publikation „Der Tag der nationalen Arbeit: Die Feier des 1. Mai 1933“ die Ereignisse der Maifeier. Seine Sichtweise ist in der Art und Weise deckungsgleich mit den überschwänglichen Darstellungen in den Zeitungen: „Statt der hässlichen Spaltung des Volkes eine große, Millionen umfassende Familie.“ Und er fügt in seiner Kommentierung hinzu, dass es ein „ein kühner Griff“ gewesen sei, ausgerechnet diesen Tag „zum ersten großen Fest des gesamten Volkes zu bestimmen“. Sein Fazit fällt – wen mag dies überraschen? – überaus positiv aus und die Wortwahl verleiht dem Fest sogar etwas Religiöses: „Er [Der Tag der Nationalen Arbeit] will wieder beseelen und heiligen.“
Es ist, außer dieser einseitigen Darstellung der Nationalsozialist*innen, nur wenig über eine Außenansicht zu erfahren. In einer Depesche schreibt der dänische Gesandte, Herluf Zahle, dass die Zahl der Teilnehmenden „möglicherweise annähernd eine Million“ betragen habe und dass die Rede Hitlers keine besonderen Eindruck gemacht habe. Die Massen seien zudem am Höhepunkt des Festes bereits „allzu müde“ gewesen. Jedoch hätte dieser Tag „keineswegs ein Minus für die Hitler-Bewegung“ bedeutet. Zahles nüchterner Blick hob sich somit deutlich von den anderen Darstellungen ab und beweist, dass die oben genannten Darstellungen deutlich vom Duktus der nationalsozialistischen Propaganda geprägt waren. Die zeitgenössische Deutung ist also fast ausschließlich eine Deutung der Nationalsozialist*innen. Neben der Übertragung im Radio ist die Berichterstattung in den Zeitungen ein weiterer Baustein, mit dem Goebbels den „Tag der nationalen Arbeit“ zu einer großen, medialen Propagandaveranstaltung für die Nationalsozialisten inszenierte. Die gleichgeschalteten Zeitungen waren nur noch Instrumente der gewaltigen Propagandamaschinerie, die Goebbels als Hauptverantwortlicher aufgebaut hatte und sie erfüllten diese Funktion bei der Maifeier in vollem Umfang.
Nicolai Burbass