1. Mai ’33 auf dem Tempelhofer Feld: Überblickstext
Bereits seit 1722 diente das gewaltige Areal des Tempelhofer Feldes der Abnahme militärischer Paraden zu Ehren der preußischen Könige. Der 1. Mai wiederum galt seit 1886, nachdem ein Streik Chicagoer Fabrikarbeiter*innen von der Obrigkeit brutal niedergeschlagen wurde, als internationaler „Kampftag der Arbeiterbewegung“. Obwohl auf den ersten Blick unvereinbar, haben die Nazis beide Traditionen im Rahmen eines gigantischen Massenschauspiels am 1. Mai 1933 auf dem Tempelhofer Feld unheilvoll miteinander verwoben.
Als zentralen Kampftag der sozialistischen Arbeiterschaft lässt sich der Symbolgehalt des 1. Mais kaum überschätzen: in Form von Demonstrationen und Kundgebungen artikulierten die Arbeiter*innen hier ihre zentralen politischen Forderungen und versicherten sich ihrer gemeinsamen Stärke. Für die Nationalsozialist*innen bedeutete dies eine große Gefahr. In der organisierten Arbeiterbewegung sahen sie ihren entschiedensten Gegner – zumal in der von den beiden Arbeiterparteien SPD und KPD dominierten Reichshauptstadt.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass sich der NSDAP-Gauleiter Groß-Berlins und Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, der Sache persönlich annahm. In einer Unterredung mit Adolf Hitler am 23. März überzeugte er diesen, den kommenden Maifeiertag offensiv anzugehen. Statt also Demonstrationen zu verbieten, verständigten sich beide darauf, dieses identitätsstiftende Symbol der Arbeiterschaft sichtbar zu übernehmen und mit gänzlich anderen Inhalten gefüllt „im größten Rahmen“ (Goebbels) zu zelebrieren. Als „Tag der nationalen Arbeit“ wurde der 1. Mai damit erstmals in der deutschen Geschichte zum offiziellen Feiertag.
Die Reaktion der organisierten Arbeiterschaft
Die Vertreter der organisierten linken Arbeiterbewegung hatten dem nichts entgegen zu setzen. Wurde ihr kommunistischer Flügel nach dem Reichstagsbrand und den folgenden Verhaftungswellen bereits in den Untergrund gedrängt, begab sich der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) auf einen verhängnisvollen Anpassungskurs: In der Hoffnung, im ’neuen Staat‘ von den Nazis zumindest geduldet zu werden, verpflichtete er sich schon im März zu politischer Neutralität gegenüber der neuen Regierung. Nachdem im Reichsgesetzblatt vom 10. April offiziell bekannt gegeben wurde, dass der 1. Mai zum Feiertag bei vollem Lohnausgleich werde, verkündete der ADGB in Verkennung der Lage gar freimütig, dass der „deutsche Arbeiter“ am 1. Mai „standesbewusst demonstrieren“ werde. Er bekräftigte dies am 19. April mit einer Aufforderung an alle Mitglieder, sich allerorts an den Maifeierlichkeiten im Sinne einer „vollberechtigte[n] Eingliederung der Arbeiterschaft in den Staat“ zu beteiligen.
Wie sehr der ADGB den Nazis damit in die Hände spielte, sollte sich am Tag der Inszenierung selbst zeigen. Wie üblich hatten sich die Beschäftigten morgens in voller Montur in den Betrieben einzufinden, um von dort gemeinsam am Aufmarsch teilzunehmen – wer sich weigerte, dem drohten Lohnabzug oder andere Nachteile. Bis auf wenige Parolen an Häuserwänden oder Flugblätter, die zum Boykott aufriefen, blieb offener Widerstand jedoch aus. Auch in der Reichshauptstadt strömten stattdessen die Massen in geschlossenen Formationen aufs Tempelhofer Feld und machten damit Goebbels Plan, das „ganze deutsche Volk in einer einzigen Demonstration zusammen[zu]fassen“, zur traurigen Realität.
Schauplatz Tempelhofer Feld
Hier standen nun die Anhänger des ADGB und der Angestelltenverbände neben Formationen des Militärs und Mitgliedern des Stahlhelms. In Blöcken durchorganisiert und von Hakenkreuzfahnen allseits flankiert, verfolgten sie bei bestem „Hitlerwetter“ (Goebbels) das erste landesweit per Rundfunk übertragene Massenspektakel der Nazis. Auch von der Presse wurde diese Inszenierung aufmerksam beobachtet. Den Höhepunkt der Veranstaltung bildete ohne Zweifel die Rede Adolf Hitlers. Wie zum Hohn der streng nach Gewerk separierten Massen, verkündete er die Losung dieses ersten „Tags der nationalen Arbeit“: vergangene Maifeiertage seien stets ein Symbol des „Hasses, Neides und Kampfes“ gewesen, es sei jedoch die Zeit gekommen „die deutschen Menschen wieder zueinander zu führen, und wenn es sein muss: sie zu zwingen.“
Ein böses Erwachen: Der 2. Mai und die Zerschlagung der Gewerkschaften
Wie dies in der Herrschaftspraxis der Nazis aussehen sollte, zeigte sich am Tag darauf: Am frühen Vormittag des 2. Mais besetzten Trupps von SA und SS ‚generalstabsmäßig‘ reichsweit die Geschäftsstellen der Gewerkschaften und inhaftierten führende Funktionär*innen, beispielsweise im späteren KZ Columbia am Tempelhofer Feld. Die hierbei beschlagnahmten Vermögen bildeten das Gründungskapital der am 10. Mai errichteten Deutschen Arbeitsfront (DAF). Mit schließlich mehr als 25 Millionen Mitgliedern wurde diese bald zur größten Organisation des „Dritten Reiches“, und das, obwohl die Nazis erst gar nicht wussten, welchem Zweck die DAF erfüllen solle. Wurde sie später durch Suborganisationen wie das Freizeitwerk „Kraft durch Freude“ zum Inbegriff nationalsozialistischer Lockangebote zur Eingliederung der Werktätigen, war zunächst nur klar, was sie nicht sein sollte: ein autonomer Verband zur Vertretung der Interessen der Arbeiterschaft.
Die Gewerkschaften, welche bis dato diese Aufgabe wahrnahmen, wurden am 1. und 2. Mai vollkommen eliminiert: erst psychisch, durch die demonstrative Übernahme und Verfremdung ihrer Symbole und Traditionen im Rahmen gigantomanischer Massenveranstaltungen zum „Tag der nationalen Arbeit“; schließlich physisch, durch die rigorose Zerstörung ihrer Organisationsstrukturen. Die Gleichschaltung der Arbeiterschaft war damit freilich nicht beendet, auf dem Tempelhofer Feld nahm sie jedoch ihren Anfang. Die Maifeiertage der kommenden Jahre wurden unterdessen weiter ausgehöhlt. Sukzessive reduzierten die Nazis an diesen Tagen den Anteil politischer Inhalte und füllten sie mit „germanisch-völkischen“ Traditionen auf: Maibäume und Maifeuer, Umzüge und Volksfeste zum Wohl und Gedeih der „Volksgemeinschaft“. Der 1. Mai wurde damit – wie die SPD im Prager Exil verbittert feststellen musste – vom internationalen Kampftag der Arbeiterbewegung zu einem einzigen „Sauftag“.
Siehe auch
- Der 1. Mai 1933: Experteninterview mit Rüdiger Hachtmann
- Webseite zur Zerschlagung der Gewerkschaften 1933