Der Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße

In der Nähe der S-Bahn Station Südkreuz befindet sich der einzige historische Ort in Berlin, an dem noch Originalspuren des frühen NS-Terrors aus dem Jahr 1933 erhalten sind. Im Keller eines ehemaligen Kasernengebäudes befand sich von März bis Dezember 1933 ein frühes Konzentrationslager unter Führung der SA. Die Nationalsozialisten nutzten es, um hunderte ihrer politischen Gegnerinnen und Gegner, darunter auch viele Juden, zu verhören, einzusperren und grausam zu foltern. Dank des langjährigen Engagements von zivilgesellschaftlichen Gruppen und politischen Organisationen gibt es heute im ehemaligen SA-Gefängnis Papestraße einen Gedenkort. Seit März 2013 dokumentiert eine neue Dauerausstellung diesen Ort und seine Geschichte.

Ein ehemaliges Unteroffizierskasino…

Das SA-Gefängnis Papestraße befand sich in dem Gebäude, das heute die Adresse „Werner Voß Damm 54a“ trägt. Um 1908 diente das Haus noch als Unteroffizierskasino. Es befand sich auf dem ehemaligen Kasernengelände des preußischen Eisenbahnregiments. Hier wurde ab 1874 militärisches Bahnpersonal ausgebildet, das die Armee im Krieg mit Nachschub und weiteren Truppen versorgen sollte.

Das heutige Gebäude Werner-Voßdamm 54a, in dem sich früher das SA-Gefängnis befand. (Foto: Malte Lührs)

Das heutige Gebäude Werner-Voßdamm 54a, in dem sich früher das SA-Gefängnis befand.
(Foto: Malte Lührs)

…und seine neuen Bewohner

Kurz nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten hatte Hermann Göring als preußischer Innenminister im Februar 1933 rund 50 000 „Hilfspolizisten“ aus überzeugten und organisierten NS-Anhängern rekrutiert. Die NSDAP übernahm damit faktisch den Polizeiapparat und setzte ihn gegen ihre politische Gegner ein.

In diesem Zuge wurden circa 180 SA-Männer zu einer Sondereinheit zusammengefasst: der SA-Feldpolizei (Fepo).1 Offiziell sollte sie als „Militärpolizei“ die eigenen SA-Truppen überwachen. Tatsächlich war sie von Anfang an Verfolgung und Terror des frühen NS-Regimes beteiligt. Ab Mitte März 1933 bezog diese Einheit das ehemalige Kasernengebäude in der damaligen General-Pape-Straße.

Beginn des NS-Terrorsystems – Ausschaltung der politischen Opposition

Nach dem Reichstagsbrand bildete die Verordnung des Reichspräsidenten zum „Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 die Grundlage für die darauf folgende, flächendeckende Verfolgung von Regimegegnern. Die SA-Feldpolizei war zusammen mit der regulären SA maßgeblich an der Niederschlagung und Verhaftung der politischen Opposition beteiligt. Mit der sogenannten „Schutzhaft“ konnten tatsächliche oder vermeintliche Gegner ohne Anordnung, juristischen Prozess und auf unbestimmte Zeit weggesperrt werden.

Das SA-Gefängnis Papestraße: Ein sogenanntes „frühes Konzentrationslager“2

Ab März 1933 wurden im ganzen Reich die unterschiedlichsten Orte zu „Konzentrationslagern“ umfunktioniert. Hier wurden politisch Oppositionelle – aber auch aus sozialen, rassistischen oder religiösen Gründen Unerwünschte – inhaftiert, gefoltert und vielfach umgebracht. Das SA-Gefängnis Papestraße war eines dieser „frühen Konzentrationslager“. In Berlin war es ein zentraler Haftort, da es mit anderen Verfolgungseinrichtungen des frühen NS-Regimes gut vernetzt war – beispielsweise mit der Gestapo oder dem SS-Gefängnis Columbiahaus (später: KZ Columbia) nördlich des Tempelhofer Feldes. Wofür das Gebäude nach dem Verlegen der SA-Feldpolizei genutzt wurde, ist bis heute unklar.

Häftlinge und Haftbedingungen im SA-Folterkeller

Die meisten Inhaftierten kamen aus dem Umfeld der organisierten Arbeiter*innenbewegung. Der Antisemitismus war von Beginn an zentraler Bestandteil des Nationalsozialismus. Unter den Inhaftierten waren deshalb neben Anhängern und Anhängerinnen von SPD, KPD oder Gewerkschaften auch viele jüdische Menschen. Zeugenaussagen belegen, dass sie unter den Häftlingen besonders brutal misshandelt wurden.

Die Haftbedingungen waren äußerst schlecht: die hygienischen Verhältnisse völlig unzureichend, die Ernährung unregelmäßig und ungenügend und die Zellen stark überfüllt. Gewaltsame Verhöre, Demütigungen, Schikanen, Quälereien, grausame Foltermethoden und Vergewaltigungen prägen den „Alltag“ für die Inhaftierten in den Kellerverliesen des SA-Gefängnisses.

Mittlerweile sind knapp 500 Gefangene namentlich bekannt. Die tatsächliche Zahl der Inhaftierte liegt wohl weit darüber. Bisher geht man von etwa 30 Menschen aus, die von der SA-Feldpolizei in der Papestraße ermordet wurden oder an den Folgen ihrer Haft gestorben sind.

Eine angemessene juristische Aufarbeitung der Verbrechen im SA-Gefängnis Papestraße fand nicht statt. Die meisten ehemaligen SA-Feldpolizisten wurden juristisch nicht verfolgt. Vor dem Berliner Landgericht wurden lediglich drei Gerichtsverfahren geführt. Nur zwei der Angeklagten waren ehemalige SA-Angehörige. Sie wurden entweder freigesprochen oder nach kurzer Haftzeit wieder entlassen.

„Antifaschistische Stadtrundfahrten“ und eine falsch platzierte Gedenktafel

Wo genau sich das SA-Gefängnis Papestraße befand, war lange Zeit unklar. Ins öffentliche Bewusstsein rückte der Ort nach Jahrzehnten erst wieder durch „Antifaschistische Stadtrundfahrten“, die unter anderem von der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Verband der Antifaschisten“ organisiert worden waren. Trotzdem konnte in dieser Zeit nicht eindeutig geklärt werden, in welchem Haus sich die ehemaligen Kellerräume befanden.

Am 30. März 1981 wurde im Auftrag der Bezirksverordnetenversammlung eine Gedenktafel angebracht – allerdings am falschen Gebäude, dem heutigen Werner-Voß-Damm 62. Das geschah, obwohl eine Zeitzeugin, Lieselotte König, die Stadt ein Jahr zuvor auf das richtige Gebäude hingewiesen hatte.

Gedenktafel der Bezirksverordnetenversammlung, die fälschlicherweise am Gebäude Werner-Voßdamm 62 angebracht wurde. (Foto: Malte Lührs)

Gedenktafel der Bezirksverordnetenversammlung, die fälschlicherweise am Gebäude Werner-Voßdamm 62 angebracht wurde. (Foto: Malte Lührs)

„Geschichtswerkstatt Papestraße“ und die Entdeckung des authentischen Ortes

Nach lokalhistorischen Forschungen in den Folgejahren, gründete sich aus Anwohnern 1991 die „Geschichtswerkstatt Papestraße“.3 Nach mehreren Aufrufen in Zeitungen und Zeitschriften, fand die Geschichtswerkstatt durch einen weiteren Zeitzeugenhinweis den historischen Ort des SA-Gefängnisses: das ehemalige „Haus H“ mit der heutigen Adresse Werner-Voß-Damm 54a. In den privat genutzten Kellerräumen fanden sich unterschiedliche Spuren und authentische Wandzeichnungen aus dem Zeitraum der ehemaligen Haftstätte.

Blick in den Kellergang des heutigen Gedenkortes. (Foto: Harry Weber.)

Blick in den Kellergang des heutigen Gedenkortes. (Foto: Harry Weber.)

Vom 5. bis 12. März 1995 konnte eine erste Ausstellung zum historischen Ort in einigen der Kellerräume gezeigt werden. Daraufhin meldeten sich ehemalige Häftlinge, deren Erinnerungen in die Buchdokumentation „SA-Gefängnis Papestraße“ aufgenommen wurden. 1998 gab es die ersten Führungen durch die Keller des Gebäudes, die der frühere Häftling Paul Tollmann und die Tochter eines Inhaftierten begleiteten.

Laufzettels des Häftlings Erich Simenauer mit der handschriftlichen Notiz: „nicht mißhandeln“. (Foto: Jüdisches Museum Berlin)

Laufzettels des Häftlings Erich Simenauer mit der handschriftlichen Notiz: „nicht mißhandeln“. (Foto: Jüdisches Museum Berlin)

Eröffnung der Gedenkstätte

Nach mehreren Beschlüssen der Bezirksverordnetenversammlung wurde 2005 die Einrichtung einer Gedenkstätte entschieden. Nach einer Open-Air-Ausstellung „Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße“ im selben Jahr, wurde am 7. April 2011 der neu renovierte Gedenkort feierlich eröffnet. Seit März 2013 gibt es eine neue, regelmäßig geöffnete Dauerausstellung.

Ausstellungstafel des „Geschichtsparcours“ vor dem heutigen Eingang des Gedenkortes. (Foto: Malte Lührs)

Ausstellungstafel des „Geschichtsparcours“ vor dem heutigen Eingang des Gedenkortes. (Foto: Malte Lührs)

Ausstellungstafel am Gedenkort. (Foto: Malte Lührs)

Ausstellungstafel am Gedenkort. (Foto: Malte Lührs)

Malte Lührs

Literatur

  • Kurt Schilde, Rolf Scholz, Sylvia Walleczek: Das SA-Gefängnis Papestraße. Spuren und Zeugnisse, Berlin 1996.
  • Irene von Götz / Petra Zwaka (Hrsg.): SA-Gefängnis Papestraße. Ein frühes Konzentrationslager in Berlin, Metropol Verlag, Berlin 2013

Links zum Thema

Anmerkungen

  1. Vgl. Martin Schuster: SA-Feldpolizei und SA-Feldjägerkorps; in: Irene von Götz / Petra Zwaka (Hrsg.): SA-Gefängnis Papestraße. Ein frühes Konzentrationslager in Berlin, Metropol Verlag, Berlin 2013.  (hoch)
  2. Vgl. Wolfgang Benz: Die frühen Konzentrationslager und die Anfänge des NS-Terrorsystems; in: Irene von Götz / Petra Zwaka (Hrsg.): SA-Gefängnis Papestraße. Ein frühes Konzentrationslager in Berlin, Metropol Verlag, Berlin 2013. Strafverfolgung? Fehlanzeige!  (hoch)
  3. Gründungsmitglieder waren die Soziologin Sylvia Walleczek, der Bildhauer Ralf Scholz und der Historiker Kurt Schilde.  (hoch)