Gedächtnisgeschichte Tempelhofer Feld: Ehemaliger Garnisonfriedhof am Columbiadamm
Nordöstlich des Tempelhofer Feldes, zwischen Freifläche und Columbiadamm, befindet sich der Neue Garnisonfriedhof. Bis heute als Friedhof genutzt, beherbergt er u. a. zahlreiche Denkmäler für Soldaten, zumeist Regimenter, der preußischen und deutschen Kriege seit den 1860er-Jahren, die ihre Taten glorifizieren. Auch ihre Gräber befinden sich dort. Obwohl aus dem letzten Jahrhundert stammend und sie – bzw. gerade weil sie Inschriften wie „Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen“ oder „Wir starben, auf daß Deutschland lebe, so lasset uns leben in euch!“ tragen, versammeln sich an ihnen bis heute am Volkstrauertag nicht nur Angehörige, Politiker*innen und Bundeswehrsoldat*innen, sondern auch rechtsradikale Vereinigungen. Alternative Gedächtnisformen, die diesen ungebrochenen Umgang mit den Denkmälern reflektieren, finden erst seit Mitte der 2000er-Jahre statt.
Der Friedhof
Als erste wurden die gefallenen Soldaten der sog. „Deutschen Einigungskriege“ auf dem damals neuen Militärfriedhof am Columbiadamm beerdigt. Die meisten Gräber stammen jedoch aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Ebenso wurden Wehrmachtssoldaten des Zweiten Weltkriegs dort beerdigt. Wie eine Parkanlage wirkend, steht das Einzelgrab des Soldaten eher im Hintergrund. Die auf dem weitläufigen Friedhof errichteten Denkmäler beziehen sich zumeist auf einzelne Regimenter. Fast alle nutzen sie die deutsche Nation als Bezugsrahmen, um dem Tod der Soldaten einen Sinn zu geben und verfolgen damit eine identitätsstiftende Stoßrichtung.
Die Denkmäler – exemplarisch hier: Der sog. „Herero-Stein“
Dieser Findling mit eingravierter Inschrift wurde 1973 auf Initiative der „Afrika-Kameradschaft Berlin“ von einem Kreuzberger Kasernengelände auf den Garnisonfriedhof nieder gelegt. Die Inschrift gedenkt der deutschen Soldaten, die während eines Kolonisierungs-Feldzugs in Südwestafrika zwischen 1904 und 1907 umkamen. Ebenfalls 1973 wurde auf dem Friedhof ein weiterer Stein aufgestellt, der auch den während der beiden Weltkriege in Afrika gestorbenen deutschen Soldaten gedachte, dieser wurde allerdings 2005 von Unbekannten entwendet.
Der erwähnte Kolonialkrieg wurde vom Deutschen Reich mit dem Ziel durchgeführt, den Aufstand der indigenen Einwohner*innen gegen die deutsche Kolonisierung niederzuschlagen. Bei diesem Feldzug wurden 80.000 Herero und Nama von deutschen Truppen ermordet. Seit den 1980er-Jahren ist dieser „Feldzug“ als Genozid verurteilt. Ihm auf die oben dargestellte Weise heute zu gedenken ist euphemistisch.
Die Akteur*innen
Alljährlich findet am Volkstrauertag ein Gedenken an die in den Denkmälern symbolisierten Taten und Leiden deutscher Soldaten statt. Ungehindert dessen, dass hier ein scheinbar demokratisches Selbstverständnis auf geschichtsrevisionistische und rechtsradikale Vereinigungen trifft, wird am gleichen Ort mit gemeinsamen Ritualen an deutsche Opfer der Kriege gedacht. Nicht nur organisierte Ehemalige und Reservisten der Bundeswehr, Mitglieder des Bundes der Vertriebenen sowie Politiker*innen der FDP kommen an diesem Tag zusammen, begleitet werden sie von Burschenschaften, Mitgliedern der DVU, NPD und der Republikaner wie von der HIAG (Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit), die bis heute mit ihren Regionalverbänden einen Hort für ehemalige Angehörige der Waffen-SS bildet. Dieses Gedenken findet nicht auf einer persönlichen, sondern auf einer abstrakteren und politisch motivierten Ebene statt, die es erlaubt, gemeinsam dem vermeintlich deutschen Leid zu gedenken, ohne die tatsächlichen Opfer der deutschen Angriffskriege in den Blick zu nehmen – beginnend bei den nationalistisch motivierten „Einigungskriegen“ des 19. Jahrhunderts, über den Genozid an den Herero und Nama bis hin zu den Millionen Menschen, die von deutscher Hand während der Weltkriege ermordet wurden. Der Garnisionfriedhof ist bis heute Ort deutschen Täter*innengedenkens: Deutsche Kriegsverbrechen werden hier entkontextualisiert und die Täter mit einem scheinbar ehrenwerten „Soldatentod“ aufgewertet.
Antifaschistisch motiviertes Kontern
Vermutlich erstmals 2006 formierte sich ein so genanntes „Gedenkpolitisches Rechercheteam“ mit dem Ziel, das Publikum der Gedenkenden am Volkstrauertag und die Veranstaltung selbst zu dokumentieren und zeitgleich zu agitieren. Angesichts der von den Soldaten begangenen Verbrechen wird das bisherige öffentliche Gedenken als geschichtsrevisionistisch verurteilt und angeklagt. Die autonome Antifa Neukölln gab in den darauffolgenden Jahren ihre Rechercheergebnisse in Form umfangreicher Informationsbroschüren heraus, die online zugänglich sind.
Postkoloniale Auseinandersetzung – alternatives Gedenken an den Genozid an Herero und Nama
Bis heute konnten städtische Politiker*innen kein Gedenken entwickeln, das am sog. „Herero-Stein“ auch den Genozid verurteilt und nicht nur deutsche Täter*innen erinnert. 2009 wurde von Lokalpolitiker*innen neben dem Findling eine Gedenkplatte in den Boden eingelassen, die das Leid der von Deutschen ermordeten Herero und Nama dargelegt. Eine Verurteilung der Verbrechen als Genozid findet jedoch nicht statt – stattdessen „schmückt“ die Tafel ein Humboldt-Zitat, das angesichts deutscher Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs, dem Genozid an den Sinti und Roma sowie der Shoah zynisch wirkt. Es lautet: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.“
Diese Morde als Genozid zu benennen hätte rechtliche Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland, denen sich Politiker*innen und Staatsbürger*innen offenbar nicht stellen wollen: Eine offizielle Entschuldigung sowie die finanzielle Entschädigung der Opfer bzw. ihrer Angehörigen.
Im Wintersemester 2011/2012 bildete sich eine Gruppe Studierender der FU Berlin, die im Rahmen eines Seminars zu postkolonialen Theorien den Dokumentarfilm „Deutsch-Südwas?“ produzierten und so die öffentliche Auseinandersetzung um den Genozid an den Herero und Nama sowie die Gedenkpolitik auf dem Garnisonfriedhof darlegten. Die Geschichte um den sog. „Herero-Stein“ bildet den roten Faden der filmischen Darstellung. Explizit gingen die Studierenden der Frage nach, warum in Deutschland nicht konkret und öffentlich an den Genozid gedacht werden kann. Gleichzeitig dokumentieren sie, wie die namibische Community Berlins samt ihrer Unterstützer*innen für eine Sichtbarmachung und Verankerung dieser Verbrechen im kollektiven Gedächtnis Deutschlands auf lokaler, aber auch internationaler Ebene kämpft.
Thea Fleischhauer
Literatur
- Schütze, Karl-Robert: Von den Befreiungskriegen bis zum Ende der Wehrmacht : d. Geschichte d. Garnisonfriedhofs am Rande der Hasenheide in Berlin-Neukölln, Berlin 1986.
- Beck, Arndt/Euskirchen, Markus: Die beerdigte Nation – ›Gefallenen‹-Gedenken von 1813 bis heute, Berlin 2009.
- Bald, Detlef/Klotz, Johannes/Wette, Wolfram: Mythos Wehrmacht. Nachkriegsdebatten und Traditionspflege, Berlin 2001.
- Melber, Henning: Genozid und Gedenken. Namibisch-deutsche Geschichte und Gegenwart, Frankfurt a. M. 2005.
Links
- Dokumentarfilm „Deutsch-Südwas?“ (Vimeo)
- Der Genozid an den Herero und Nama (2010). Gemeinsame Broschüre der Autonomen Neuköllner Antifa und der Naturfreundejugend Berlin
- Friedhof Columbiadamm, http://www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/stadtgruen/friedhoefe_begraebnisstaetten/de/graeber_okg/friedhof_columbiadamm/