Stadtspaziergang Tempelhofer Feld: 3. Zwangsarbeit

„Untergebracht wurde ich in einer Baracke, ganz nah am Flughafen, durch den ich in die Fabrik ging. Die Baracke war in Stuben geteilt, in der jeweils acht Personen wohnten. Jede von uns bekam ein Holzbett mit Strohsack, einem Kissen und einer grauen Decke ohne Überzug. Betten und Bettzeug waren voller Wanzen.“, erinnert sich die Polin Stanislawa Michalowska.1

Gedenktafel Weserflugzeugbau

An dieser Stelle befand sich von 1940 bis 1945 das große Barackenlager der Weserflugzeugbau GmbH.

An dieser Stelle (2) standen von 1940 bis 1945 die spärlichen Unterkünfte für tausende Männer und Frauen, die auf dem Tempelhofer Feld Zwangsarbeit verrichten mussten. Seit 1939 produzierte die Weser-Flugzeugbau GmbH (kurz: Weserflug) den Sturzkampfbomber Ju 87 in den Hangars des Tempelhofer Flughafens. Die ersten ausländischen Zwangsarbeiter*innen kamen im November 1940 aus dem besetzten Polen. Ab Januar 1941 wurden auch französische Kriegsgefangene zur Arbeit gezwungen, es folgten Zivilarbeiter*innen aus Italien, Belgien, den Niederlanden und Tschechien. Die von den Nationalsozialisten besonders gekennzeichneten Ostarbeiter*innen aus der Sowjetunion wurden hier ab 1942 eingesetzt. Einer Statistik vom April 1944 zufolge arbeiteten 4151 Personen für die Weserflug in Tempelhof. Über die Hälfte von ihnen waren ausländische Arbeiter*innen, die meisten von ihnen Zwangsarbeiter*innen.

Neben der Weserflug produzierten Zwangsarbeiter*innen auch für die Lufthansa AG Rüstungsmaterial auf dem Tempelhofer Feld. Die Lufthansa nutzte seit 1940 die Flughafengebäude um Radarmessgeräte zur Abwehr von Luftangriffen herzustellen. Vor allem in den Jahren 1940 bis 1942 mussten jüdische Arbeiter*innen in der Produktion der Messgeräte, aber auch bei der Montage und Reparatur von Kriegsflugzeugen arbeiten.

Am 20. Februar 1942 führten die sogenannten „Ostarbeiter-Erlasse“ zur Kennzeichnung der Arbeitskräfte aus den besetzten Sowjet-Gebieten. Einen solchen Aufnäher mussten auch die Zwangsarbeiter*innen aus dem osteuropäischen Gebieten auf der Kleidung tragen. (c) CC BY-SA, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ostarbeiter-Abzeichen.png

Am 20. Februar 1942 führten die sogenannten „Ostarbeiter-Erlasse“ zur Kennzeichnung der Arbeitskräfte aus den besetzten Sowjet-Gebieten. Einen solchen Aufnäher mussten auch die Zwangsarbeiter*innen aus dem osteuropäischen Gebieten auf der Kleidung tragen.
(c) CC BY-SA, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ostarbeiter-Abzeichen.png

Insgesamt existierten auf dem Tempelhofer Feld mindestens zwei Lagerkomplexe: Das größere Lager umfasste mehr als 20 Baracken und erstreckte sich südlich des heutigen Columbiadamms. Der zweite Barackenkomplex lag am Tempelhofer Damm, welches ab dem Frühjahr 1943 für die Zwangsarbeiter*innen aus Osteuropa errichtet wurde. Hinzu kamen spartanisch eingerichtete Lazarett- und Kantinenbaracken. Die Barackenlager waren mit Stacheldraht umzäunt und wurden durch bewaffnete Wachmannschaften kontrolliert. Wie im nationalsozialistischen Lagersystem üblich, wurden auch in Tempelhof alle Arbeiter*innen nach ihrer Nationalität in jeweils eigene Baracken gesperrt.

Die Erinnerungen von Stanislawa Michalowska lassen erahnen, unter welchen Bedingungen die ausländischen Arbeiter*innen in Tempelhof leben mussten. Nicht nur an die völlig unzureichend ausgestatteten Baracken, sondern auch an die mangelhafte Versorgung mit Nahrungsmitteln erinnert sich Stanislawa Michalowska: Früh und Abends gab es ein kleines Brot, dass unter acht Menschen aufgeteilt werden musste – mittags „ein paar Pellkartoffeln, ein wenig Soße und ab und zu etwa 20g Fleisch.“2 Zu all dem führte die Werkleitung Kontrollen durch sowie von Gewalt und Willkür gekennzeichnete Disziplinierungsmaßnahmen.

Nach dem Krieg wurden die Baracken abgerissen. In den folgenden Jahrzehnten galt das Thema Zwangsarbeit als uninteressanter Nebenschauplatz der Kriegsfolgen. Die Konstrukteure des Zwangsarbeitersystems wurden kaum zur Verantwortung gezogen und der größte Teil dieser Verbrechen nur marginal aufgearbeitet. „Dennoch deuten die vorliegenden Erkenntnisse der regionalgeschichtlichen Forschung bereits an, dass sich Berlin während des nationalsozialistischen Krieges zu einer Metropole der NS-Zwangsarbeit entwickelte.“3

Spuren dieser Geschichte begegnen Ihnen auf dem Weg zur nächsten Station.

Julia Todtmann

Mehr lesen?

  • Stadtspaziergang Tempelhofer Feld (PDF zum Ausdrucken)
  • Matthias Heisig, Der Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter für die „Weser“ Flugzeugbau GmbH auf dem Flughafen Tempelhof 1940 – 1945, in Arbeitskreis Berliner Regionalmuseen (Hg.), Zwangsarbeit in Berlin 1939 – 1945, Berlin 2003.

Anmerkungen

  1. Matthias Heisig, Der Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter für die „Weser“ Flugzeugbau GmbH auf dem Flughafen Tempelhof 1940 – 1945, in Arbeitskreis Berliner Regionalmuseen (Hg.), Zwangsarbeit in Berlin 1939 – 1945, Berlin 2003, S. 174  (hoch)
  2. ebd.  (hoch)
  3. Thomas Irmer, NS-Zwangsarbeit in der Rüstungsproduktion in Berlin, in Berliner Geschichtswerkstatt e. V. (Hg.), Kein Ort der Freiheit – Das Tempelhofer Feld 1933-1945. Konzentrationslager – Luftwaffenstützpunkt – Rüstungszentrum. Beiträge zur gedenkpolitischen Debatte über den Flughafen Tempelhof, Berlin 2012, S. 33-41, hier S. 39.  (hoch)