Architektur der Unfreiheit

Der inmitten von Berlin gelegene ehemalige Flughafen Tempelhof steht wie kaum ein anderer in dieser Monumentalität erhaltene Bau architektonisch für die „Einschüchterungsarchitektur“ der Nationalsozialisten. Seine Funktionalität für die Luftfahrt täuscht dabei über die parallele Nutzung des Areals als Zwangsarbeitslager hinweg. Diesem Umstand sowie der wechselvollen Geschichte des Flughafengeländes trägt der folgende Beitrag Rechnung.

Einleitung und Verortung

Der ehemalige Flughafen Berlin-Tempelhof liegt inmitten von Berlin. Steht man im Zentrum der etwa 400 Hektar großen, elliptischen Fläche, so springt einem sofort die Weite des Raums ins Auge. Der große Berliner Tiergarten würde beinahe zwei Mal in dieser Fläche Platz finden.

Luftaufnahme vom Flughafen Berlin-Tempelhof am Tag der offenen Tür 1984 (TSGT Jose Lopez Jr., US Air Force. Public Domain, 11.5.1984,)

Luftaufnahme vom Flughafen Berlin-Tempelhof am Tag der offenen Tür 1984 (TSGT Jose Lopez Jr., US Air Force. Public Domain, 11.5.1984,)

Und doch ist man auf dem Feld keineswegs verloren: Begrenzung findet das Areal im Westen durch den Tempelhofer Damm, entlang dessen die Gartenstadt Neu-Tempelhof verläuft und der im Platz der Luftbrücke mündet. Hier hat der Columbiadamm seinen Ursprung, der das Feld in seinem nördlichen Verlauf definiert und im Osten in das Stadtquartier „Schillerpromenade“ des Bezirks Neukölln hineinläuft. Den südlichen Begrenzungsrahmen bilden – einer Barriere gleich – der S-Bahn-Ring sowie die Autobahn A 100.

Geschichte bis 1933

Erstmalige urkundliche Erwähnung

Die erste urkundliche Erwähnung des Tempelhofer Feldes ist auf den 22. Juli 1351 datiert. Im Friedensvertrag zwischen dem Markgrafen Ludwig I. von Brandenburg und Karl IV. wird das Areal erwähnt, welches davor vom Templerorden urbar gemacht worden war, indem die darauf befindliche Waldfläche gerodet wurde.

Neben einer landwirtschaftlichen Nutzung, wurde das Gelände im weiteren Verlauf auch immer wieder für Pferderennen sowie als Exerzierplatz genutzt.

Von Landwirtschaft zur Naherholung

Vor allem durch die zunehmende Professionalisierung der Heere sollte die lange Zeit gepflegte Mischnutzung des Tempelhofer Felds immer schwieriger werden. Und so erwarb der preußische Staat Anfang des 19. Jahrhunderts die Ländereien. Diese wurden außerhalb der militärischen Nutzung für die Bevölkerung freigegeben und entwickelten sich zu einem Naherholungsgebiet.

Tempelhof hebt ab

Daneben aber sollte das Feld vor allem in Hinblick auf seine zentrale Lage innerhalb der Stadt für die sich rapide entwickelnde Zivilluftfahrt von Interesse werden.

Da mit dem Ende des 1.Weltkriegs eine Demilitarisierung Deutschlands zu erfolgen hatte, übernahm die Stadt Berlin 1922 das Gelände von den Militärbehörden. Um den Höhenunterschied auszugleichen, der über das Areal verteilt bis zu 10 Meter betrug, wurde das Feld anschließend planiert. Am 8. Oktober 1923 fand der erste innerdeutsche Linienflug nach München statt.

Erste Bauphase

1924 wurden die ersten drei Flugzeughallen gebaut, welche schon bei der Eröffnung zu klein sein sollten und daher in weiterer Folge um drei weitere Hallen ergänzt wurden. Daneben wurde eine Abfertigungshalle sowie ein Funkgebäude und Scheinwerferturm gebaut.

Internationale Bedeutung

Clarence Chamberlin und Charles Levine absolvierten 1927 einen spektakulären 43-Stunden-Flug von New York nach Berlin, wo sie am Flughafen Tempelhof landen sollten. Zu Ehren des Ereignisses, wurde die Prinz-August-von-Württemberg-Straße nach dem Flugzeugnamen der beiden („Columbia“) umbenannt und heißt seit dem Columbiadamm.

Im Laufe der 1930er Jahre schaffte Tempelhof – gemessen an den Passagierzahlen – den Aufstieg zum größten Flughafen Europas.

Flughafen Tempelhof – Nationalsozialismus – Architektur

Zweite Bauphase

Bereits Ende der 1920er Jahre wurde deutlich, dass die damals vorhandene Flughafeninfrastruktur dem wachsenden Passagieraufkommen nicht gerecht werden konnte.

Mit der Machtergreifung durch die NSDAP 1933 wurde der Umbau in das Gesamtkonzept einer den nationalsozialistischen Vorstellungen von Monumentalität entsprechenden „Neuen Reichshauptstadt“ eingebettet. Dieser sollte entlang einer Nord-Süd-Achse einen epochalen Prestigebau darstellen und darüber hinaus multifunktionale Ansprüche als Flughafen für 6 Mio. Passagier pro Jahr erfüllen, sowie als Austragungsort von Luftschauen und Aufmärschen dienen, aber auch Verwaltungsgebäude beherbergen.

Durchführung des Baus

Die Finanzierung des Ausbaus oblag dem Reichsluftfahrtministerium unter Hermann Göring. Mit der Ausarbeitung des architektonischen Gesamtkonzepts wurde der für seine Mitarbeit an der Planung der ersten deutschen Hochhäuser unter Jacob Koerfer bekannt gewordene Ernst Sagebiel betraut. Dieser hatte zuvor bereits bei Arbeiten von Erich Mendelsohn und an mehreren Bauten für die Luftwaffe mitgewirkt. Nach seiner Bewerbung um Mitgliedschaft bei der NSDAP trat er der SA bei. Bereits während der Planung des 1934/35 fertiggestellten Baus des Gebäudes des Reichsluftfahrtministeriums in Berlin-Mitte sollte Sagebiel seinen Weg zu einer konstruktivistischen, geradlinigen und funktionellen Formensprache finden. Diese unterschied sich vom neoklassizistischen Architekturverständnis Albert Speers, welches formal-ästhetisch für Prestigebauten von Partei und Staat vorgesehen war und propagandistischen Wert haben sollte.

Effizienz

Im Bereich der Funktionalität sollte der Bau richtungsweisend für künftige Flughafenbauten weltweit werden: die Trennung der Ströme von ankommenden und abfliegenden Passagieren, Besuchern, aber auch von Fracht und Post waren bis dahin einmalig. Die oberirdischen Bereiche waren Passagieren und Besuchern vorbehalten, während die drei unterirdischen Geschosse für die Luftfracht vorgesehen und durch eine Straßen- und Eisenbahnverbindung verbunden waren. Erwähnenswert ist auch die eigene U-Bahn-Anbindung, welche als effizienter Zubringer der Fluggäste den Flughafen noch näher an die Stadt rücken sollte.

NS-Ideologie und Architektur

Dem nationalsozialistischen Verständnis von Architektur folgend, orientierte sich der Bau am Begriff der Heimatschutzarchitektur und an der Ablehnung der Moderne. Das Konglomerat an erworbener europäischer Bautypologie wurde durch an das Bild eines in Adolf Hitler verkörperten Führers und an für ihn zugeschnittene Bauelemente ergänzt. Dies lässt sich exemplarisch an dem zentral gelegenen, im Stil tempelförmig nachempfundenen Baukörper nachvollziehen. Der über die Tribüne triumphierende Bau sollte die Funktion und Person Adolf Hitlers hervorhebenden.

Die Kastendecke der Eingangshalle (David Bauer, 25.3.2013)

Die Kastendecke der Eingangshalle (David Bauer, 25.3.2013)

Als steingewordener Ausdruck von Ideologie und Machtwille sollte die vermeintliche Überlegenheit von Partei und Staat durch den epochalen Bau einschüchternd wirken und unterwerfen lassen. Der schieren Größe des Baus gegenüber verschwand jegliches Individuum in der Masse. Dies sollte besonders bei Massenaufmärschen die Einheit des Volkes verkörpern, sowie Zusammenhalt und Größe demonstrieren.

Bauplan

Für den neu zu bauenden Flughafen Tempelhof sah Sagebiel eine streng nach Kreis- bzw. Ellipsenform gegliederte, symmetrisch angelegte Anlage vor, welche axial auf das zur Zeit des Nationalsozialismus als Ort völkischer Sonnwendfeiern verwendete Kreuzbergerdenkmal, ausgerichtet war. Diese Verbindung sollte ursprünglich durch eine vom Kreuzberg herabführende Wasserkaskade betont und hergestellt werden. Neben etlichen Rollfeldern waren auch Warmlaufbereiche für die Propellermaschinen vorgesehen.

Kernstück des Baus sollte das an der Nord-West-Spitze gelegene und entlang von 1230 Metern geschwungene, mit Natursteinplatten aus Muschelkalk verkleidete Hauptgebäude sein, in dessen Mitte die Flugsteige und jeweils seitlich davon die Hangars vorgesehen waren. Die äußere Gliederung und Unterteilung des Gebäudes fand durch 13 Treppenhaustürme im Abstand von jeweils 70 Metern entlang der Außenfassade des Baus statt. Die Türme sollten dafür sorgen, dass an die 80.000 Menschen in weniger als 30 Minuten Zugang zu der Tribüne finden konnten, welche für Großveranstaltungen vorgesehen war. Allerdings wurden die Treppenhäuser nie zur Gänze fertiggestellt, prägen aber bis heute die dominante Erscheinungsweise des Gebäudes.

Die auskragende Überdachung (Milenko Ristic, 25.3.2013)

Die auskragende Überdachung (Milenko Ristic, 25.3.2013)

In Verlängerung der Tribüne befindet sich mittig gelegen eine 12 Meter hohe und 40 Meter weit auskragende Überdachung des Vorfelds, welche in ihrer Konstruktion entlang von 380 Metern stützenfrei das gesamte Gewicht alle 12 Meter durch über bis zu 8 Meter breite Stahlträger an das Fundament weiterleitet. Ab 1939 kamen die Bauarbeiten kriegsbedingt ins Stocken. Unter Befehl von Hermann Göring wurde die Baustelle „Neuer Flughafen“ zu einer der größten Montagehallen für Luftbomber weltweit umfunktioniert. Hier wurden nun u.a. Ju 87 und Ju 88 Bomber produziert. Der Bahntunnel und die Hangars wurden zur Rüstungsproduktion genutzt. Das 1941 partiell „fertiggestellte“ Gebäude galt mit einer Fläche von 307.000 m² (bis zur Fertigstellung des Pentagons) als das flächengrößte Gebäude der Welt.

Die unterirdischen Versorgungsadern - Bahn- und Straßentunnel (Milenko Ristic, 25.3.2013)

Die unterirdischen Versorgungsadern – Bahn- und Straßentunnel (Milenko Ristic, 25.3.2013)

Monumentale Auslöschung des Individuums

Das Betreten des Hauptbaus war über den sogenannten „Kreisplatz“ (heute: „Platz der Luftbrücke“) vorgesehen, welcher ursprünglich einen Durchmesser von 250 Metern haben und die Fluggäste über einen rechteckigen Vorplatz zur Eingangshalle führen sollte. Der Vorplatz wird von zwei Verwaltungsgebäuden flankiert, welche mit umlaufenden Arkadengängen versehen sind.

Die Abfertigungshalle des Tempelhofer Flughafens (David Bauer, 25.3.2013)

Die Abfertigungshalle des Tempelhofer Flughafens (David Bauer, 25.3.2013)

Am Ende des Vorplatzes befindet sich die dreigeschossige Eingangshalle, welche den Strom der Fluggäste reibungslos durch das Vorhandensein von Eingangstüren über die gesamte Länge lenken sollte, ehe die Abfertigungshalle betreten werden konnte. Diese war mit 100×50 Metern für ihre Zeit überaus kolossal dimensioniert und sollte über eine nicht minder imposante Treppe von über 30 Metern Länge betreten werden, ehe der Blick durch eine auf die gesamte Raumhöhe von 19 Metern ausgerichtete Glaswand hin Richtung Vorfeld gelenkt werden sollte. Hier sollte sich den Fluggästen ein beeindruckendes „Gesamtschauspiel Flughafen“ eröffnen.

Dass Jahre vergehen mussten, ehe der Blick auf die unzähligen Zwangsarbeiter*innen und im nahegelegenen KZ Columbia oder im SA-Lager in der General-Pape-Straße gefolterten und ermordeten Menschen gerichtet werden sollte, kann nicht davon ablenken, dass die sogenannte „Einschüchterungsarchitektur“ der Nationalsozialisten auf eine gänzlich menschenverachtende Art und Weise für Leiden und Schmerz gesorgt hat.

David Bauer und Milenko Ristić

Literatur

  • Elke Dittrich, Ernst Sagebiel. Leben und Werk 1892-1970 (Berlin 2005).
  • Regina Jost, Tempelhofer Freiheit – Flughafen Tempelhof Berlin (Berlin 2011).
  • Monatshefte für Baukunst und Städtebau, Der Weltflughafen Tempelhof. Die Bauten des Tempelhofer Flughafens. Die Stahlkonstruktion des Flugsteiges und der Flugzeughallen, Bd. 22 (Berlin 1938) 81-96.

Weiterführende Links