Zwangsarbeit in Berlin-Brandenburg
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Berlin, das die Nationalsozialisten zur „Welthauptstadt Germania“ umbauen wollten, war das Zentrum von Zwangsarbeit und Rüstungsproduktion im Deutschen Reich. Die Zwangsarbeit auf dem Tempelhofer Flughafen repräsentiert lediglich eine von vielen Formen und Örtlichkeiten der Zwangsarbeit in der Reichshauptstadt und ihrer Umgebung.
Ausmaß der Zwangsarbeit in Berlin
„Zu jener Zeit war Berlin mit Holzbaracken nur so überzogen. In jeder noch so kleinen Lücke der Riesenstadt hatten sich Fluchten brauner, teerpappegedeckter Fichtenholzquader eingenistet. Groß-Berlin bildete ein einziges Lager, das sich zwischen den festen Bauten, den Denkmälern, den Bürohäusern, den Bahnhöfen, den Fabriken hinkrümelt“ beschrieb der französische Schriftsteller und ehemalige Zwangsarbeiter François Cavanna die Reichshauptstadt.1
Tatsächlich waren alle Verwaltungsbezirke Berlins mit einem Netz von ungefähr 3000 Zwangsarbeiterlagern überzogen. Fast überall lag ein Lager direkt um die Ecke. Besonders hohe Konzentrationen gab es bei den Standorten der Rüstungsindustrie.
Zum Jahreswechsel 1942/43 waren die meisten zivilen Zwangsarbeiter*innen in Reinickendorf (20.461), Spandau (18.722) und Tempelhof (15.652) untergebracht. Tempelhof zeichnete sich dabei durch einen besonders hohen Anteil im Bezug auf Fläche und Gesamtbevölkerung aus. Das Weserflug-Lager auf dem Tempelhofer Flugfeld war zu diesem Zeitpunkt mit 1700 Zwangsarbeiter*innen das sechstgrößte in Berlin.
Zur Zwangsarbeit wurden neben ausländischen Zivilarbeiter*innen auch Kriegsgefangene aus dem Stalag III D in Berlin, jüdische Berliner*innen und KZ-Häftlinge eingesetzt. Die Entwicklung der Zahl der Zwangsarbeiter in Berlin zeigt folgendes Schaubild. Hieran ist unter anderem der Beginn des Ostarbeitereinsatzes und der systematischen Zwangsrekrutierungen ab 1942 abzulesen. Der Einbruch im Winter 1943/44 wurde durch Bombenangriffe und Industrieverlagerungen verursacht. Die Zahlen zu 1945 stellen lediglich eine Schätzung dar.
Albert Speers Rolle als Generalbauinspektor und Rüstungsminister
Schon vor dem Krieg warb der Generalbauinspektor (GBI) Albert Speer vor allem für die Neugestaltungsprojekte Berlins zur „Welthauptstadt Germania“ ausländische Arbeitskräfte an. Im Frühjahr 1939 kamen so Arbeitskräfte aus dem besetzten Teil der Tschechoslowakei nach Berlin. Seit 1938 mussten jüdische Berliner*innen im „Geschlossenen Arbeitseinsatz“ isoliert von anderen Arbeitskräften meist unqualifizierte, körperlich schwere Zwangsarbeit leisten, unter anderem auch im Bauwesen.
Zur Zentralisierung der Arbeitseinsatzpolitik wurde der GBI schließlich im Frühjahr 1942 auch Rüstungsminister. Für das Gebiet innerhalb des Berliner Autobahnrings war der GBI dann für das vom Rüstungsministerium geleitete Lagerbauprogramm von 1942 zuständig. Nach Siemens und der Reichsbahn war er 1942/43 drittgrößter Betreiber von Zwangsarbeiterlagern im Großraum Berlin.
Zwangsarbeit in der Berliner Rüstungsindustrie
Im Rüstungsstandort Berlin mit seinen modernen Fertigungsanlagen in der Elektrotechnik, Flugzeugmotoren- und Panzerherstellung erlaubten die Bestimmungen zur Abwehr von Sabotage und Spionage zunächst den Einsatz von Ausländern nur eingeschränkt. Von einem organisierten Masseneinsatz in der Berliner Industrie kann erst ab 1941 gesprochen werden. Große Bedenken herrschten bei der Beschäftigung von Tschechen und Polen in sensiblen Fertigungsbereichen. Daher gab es zunächst hauptsächlich „Westarbeiter“ und insgesamt weniger ausländische Arbeitskräfte in Berlin als in Gesamtdeutschland. Ende April 1941 waren 4,6% der Arbeitnehmer*innen Berlins aus dem Ausland, während der Durchschnitt im Reich bei 11% lag.
Die meisten der jüdischen Berliner*innen mussten schon seit Ende 1940 im „Geschlossenen Arbeitseinsatz“ in der Rüstungsindustrie arbeiten. Circa 230 Berliner Firmen richteten sog. „Judenabteilungen“ ein. Im Zuge der „Fabrikaktion“ vom 27. und 28. Februar 1943 wurden selbst diese kriegswichtigen Arbeiter verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Die Vernichtung der Juden stand hier in unmittelbarem Zusammenhang mit der „Lebensraumeroberung im Osten“, denn die jüdischen Zwangsarbeiter*innen wurden direkt durch polnische ersetzt.
Es entwickelte sich eine Konkurrenz um die Zwangsarbeiter*innen zwischen allen Wirtschaftszweigen, da im Laufe des Krieges immer weniger von ihnen nach Deutschland deportiert werden konnten. Insbesondere im Winter wurden daher Arbeiter aus der Landwirtschaft abgezogen. Schon 1940 wurden aus dem Stalag III A in Luckenwalde beispielsweise 30 000 Kriegsgefangene für Speers Bauwirtschaft nach Berlin gebracht, wo man nun das Stalag III D baute. Luckenwalde versorgte zunächst vor allem die Landwirtschaft mit Arbeitskräften und diente auch als Verteilungsstation für andere Stalags des Wehrkreises III.
Zwangsarbeit in der brandenburgischen Landwirtschaft
Da polnische Zwangsarbeiter*innen vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, waren hier schon unmittelbar seit Kriegsbeginn viele Kriegsgefangene (später „Zivilarbeiter“) beschäftigt. Es gibt nur in unzureichendem Maße Quellen über die Zwangsarbeit in der Landwirtschaft. Sicher ist jedoch, dass die zahlreichen Zwangsarbeiter*innen dort schlechter überwacht werden konnten, als in den städtischen Betrieben.
Im Juli 1943 ging beim Potsdamer Regierungspräsidenten eine anonyme Anzeige über die Missachtung des nächtlichen Ausgangsverbots der polnischen Zwangsarbeiter*innen ein: „Anstatt um 9 Uhr in der Unterkunft zu sein, treiben sie sich die halbe Nacht umher! Wenn sie dann am Tage arbeiten sollen, sind sie müde und werden auf Vorhaltungen noch frech.“ Verantwortlich für diesen Zustand machte der Anzeigende auch einzelne Bauern selbst, „die behaupten, die Polen seien auch Menschen“.2 Die Zwangsarbeiter*innen aus Polen wurden seit März 1940 durch die Polen-Erlasse diskriminierenden Vorschriften unterworfen, was im Februar 1942 durch die Ostarbeiter-Erlasse auf die sowjetischen Zwangsarbeiter*innen ausgedehnt wurde.
„Arbeitserziehungslager“ als Disziplinierungsmittel
Sogenannte „Arbeitserziehungslager“ (AEL) dienten sowohl in der Industrie als auch in der Landwirtschaft der Disziplinierung der deutschen, aber ganz besonders der ausländischen Arbeiterschaft. Formen der Widersetzung wie Zuspätkommen, Krankfeiern und langsames Arbeiten sowie Fluchtversuche wurden hier bestraft.
Die Lebensbedingungen in den AEL glichen denen eines Konzentrationslagers, mit dem Unterschied, dass die Haftzeit auf 21 Tage bis 3 Monate begrenzt war. Die Beschränkung diente dazu, den Firmen ihre Arbeitskräfte schnell wieder zur Verfügung zu stellen. Diese Form der Bestrafung wurde in vielen Betrieben als Abschreckung genutzt und am Schwarzen Brett ausgehängt. In Berlin-Brandenburg befanden sich solche Lager unter anderem in Fehrbellin, wo die weiblichen Häftlinge für die Bastfaser GmbH ausgebeutet wurden und im Stadtteil Wuhlheide, wo die männlichen Häftlinge bei der AEG arbeiten mussten.
„Vernichtung durch Arbeit“ – Zwangsarbeit in KZ-Außenlagern
Die von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) betriebenen AEL können, obwohl es an Quellen dazu mangelt, als Vorläufer der KZ-Außenlager der SS gesehen werden, die vor allem nach Ausrufung des „Totalen Kriegs“ 1943 eingerichtet wurden. Erst nach dem Scheitern des Aufbaus eines eigenen Wirtschaftsimperiums der Schutzstaffel (SS) und auf großen Druck der Wirtschaft konnte Rüstungsminister Speer durchsetzen, dass KZ-Häftlinge an die Industrie verliehen wurden. Die beiden großen KZ in Brandenburg, Sachsenhausen und Ravensbrück, verfügten über eine Vielzahl von Außenlagern und Außenkommandos in und um Berlin, so zum Beispiel das Lager bei Heinkel in Oranienburg.
Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung
Ein zentrales Problem bei der Erforschung der Zwangsarbeit ist die mangelhafte Aufzeichnung des Arbeitseinsatzes und die damit einhergehende Ungenauigkeit der Zahlen. Viele Arbeiter*innen tauchen in den geführten Statistiken nicht auf, da ihre Arbeit nicht als produktiv galt und vor allem aus Hilfsarbeit bestand.
Allgemein lässt sich sagen, dass sich die meisten Unternehmen bis in die 1990er Jahre hinter der „Werkzeugtheorie“ verschanzten, das heißt der Argumentation, sie seien von dem NS-Regime genötigt worden, Zwangsarbeiter*innen zu beschäftigen. Die Forschung hat jedoch eindeutig festgestellt, dass viele Unternehmen Zwangsarbeiter*innen geradezu einforderten, um ihren Gewinn steigern zu können, aber auch um ihre von oben festgelegten Auflagen erfüllen zu können.
Melanie Huchler
Literatur
- Arbeitskreis Berliner Regionalmuseen (Hg.): Zwangsarbeit in Berlin 1938-1945. Berlin 2003.
- Berliner Geschichtswerkstatt e.V. (Hg.): Kein Ort der Freiheit – Das Tempelhofer Feld 1933- 1945. Berlin 2012.
- Mai, Uwe: Kriegsgefangen in Brandenburg. Stalag III A in Luckenwalde 1939-1945. Berlin 1999.
- Meyer, Winfried/Neitmann, Klaus (Hg.): Zwangsarbeit während der NS-Zeit in Berlin und Brandenburg. Formen, Funktion und Rezeption. Potsdam 2001.
Weiterführende Links
- Spurensuche: Lohnzettel einer Arbeiterin oder eines Arbeiters
- Berliner Geschichtswerkstatt (Hg.): Arbeitserziehungslager Fehrbellin. Zwangsarbeiterinnen im Straflager der Gestapo. Potsdam 2004. http://www.politische-bildung-brandenburg.de/publikationen/pdf/fehrbellin.pdf
- Pagenstecher, Cord: Lagerlisten und Erinnerungsberichte. Neue Quellen zur Topografie und ärztlichen Betreuung der Berliner Zwangsarbeiterlager. http://www.cord-pagenstecher.de/pagenstecher-2004a-lagerlisten.pdf
- Stiftung Topographie des Terrors, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit: http://www.topographie.de/dz-ns-zwangsarbeit/das-lager/
Anmerkungen
- Cavanna, François: Das Lied der Baba (orig. Les Russkoffs). Berlin 1988. Zitiert nach: Pagenstecher, Cord: Lagerlisten und Erinnerungsberichte. Neue Quellen zur Topografie und ärztlichen Betreuung der Berliner Zwangsarbeiterlager. http://www.cord-pagenstecher.de/pagenstecher-2004a-lagerlisten.pdf S. 6. [06.04.2013] (hoch)
- Zitiert nach Schmidt, Frank: „Der Ausländereinsatz in der brandenburgischen Landwirtschaft – Reglementierung der Lebensverhältnisse“. In: Meyer, Winfried/Neitmann, Klaus (Hg.): Zwangsarbeit während der NS-Zeit in Berlin und Brandenburg. Formen, Funktion und Rezeption. Potsdam 2001. S. 69. (hoch)